Kaum ist der Skagerrak MV raus, hat ihn Lars Everding auch schon in den Fingern, um uns einen ausführlichen Testbericht zu liefern.
Manch einem ist Lars vielleicht schon als Kanulehrer des DKVs bekannt oder als Ausbilder der Salzwasserunion, der ein oder andere kennt ihn eventuell sogar unter seinem Synonym "Man in Black". Genug gequatscht...
Testbericht Lars Everding:
KANU-SPORT 2/2019 35
Gestern, am sehr späten Abend bin ich hier in Neßmersiel, dem kleinen Fährhafen nach Baltrum in Ostfriesland angekommen. Auf dem Dach habe ich den neuen Skagerrak MV von Lettmann dabei. Lettmann hat mir ein neues Seekajak für 6 Wochen zum ausgiebigen Testen zur Verfügung gestellt. Es soll sich heute bei meiner ersten Testfahrt nach Baltrum bewähren. Es ist das neue Seekajak von Lettmann und hört auf den Namen Skagerrak MV. MV, weil es eine im Volumen reduzierte Variante des im letzten Jahr vorgestellten Skagerrak HV ist.
Es soll eine ruhige Fahrt werden
Bis zum Sonnenaufgang ist es noch knappe eine Stunde. Es ist mit 4 Grad mäßig warm und die Windprognose verspricht Südwind mit Böen um 7 BFT. Es soll eine ruhige Fahrt werden, die der Rekonvaleszenz meiner Schulter nach einem Unfall Rechnung trägt. Das Kajak liegt bereits an der Rampe und ist soweit wie möglich nach meinen persönlichen Ansprüchen präpariert.
„Beim Einsteigen an der schlickig, rutschigen Kante der Rampe erweist sich die extra große Cockpit Luke als sehr vorteilhaft. Unterstützt durch die hohe Anfangsstabilität,bedingt durch den flachen U-Spant, reicht ein beherzter Schritt von der Rampe in die Mitte des Cockpits meines Skagerraks. Während der Hintern seinen Platz einnimmt, finden die Oberschenkel zur gleichen Zeit halt an den ergonomisch geformten Schenkelstützen. Ein Zwischenstopp mit dem Hintern auf dem Achterdeck entfällt somit.“*
Meine Seekarte fahre ich schon seit Jahren im DIN A4 Format unter den Kartengummis auf meiner Spritzdecke. Kurzer Body- und Bootscheck und ich lege ab.
Das Kajak gleitet „smooth“ in die Mitte des Hafenpriels. Strömung und Wind unterstützen mich. Die Stimmung ist mystisch ruhig, nur das Pfeifen des Windes verfängt sich an den Kanten meiner Sturmhaube.
„Ich fühle mich schmerzfrei und entspannt im ergonomisch geformten Standardsitz. Die Rückenlehne habe ich mit wenigen Handgriffen meinen persönlichen Anforderungen angepasst.“
Der Leitdamm des Hafen Neßmersiel begleitet mich eine Weile auf meinem Weg nach Baltrum. Die Dalben auf meiner Backbordseite ziehen an mir vorbei. Das Boot hält gut seinen Kurs, meine Paddelschläge werden rhythmischer und treiben mich voran. Das Vorderdeck ist für die Gesamtgröße des Bootes erstaunlich flach gehalten und die konkaven Seitenflanken des vorderen Oberschiffes erleichtern mir das nahe Führen meines Grönlandpaddels.
Somit kann ich elegant und effizient Vortrieb erzeugen und nehme die Gesamtbreite von immerhin 58 cm des Kajaks nicht als störend war. Jetzt gilt es im Labyrinth der Wattflächen sich dem magischen Licht des Baltrumer Hafens zu entziehen und weiter Kurs auf die Ostseite der Nachbarinsel Norderney zu halten. Auf diesen Moment habe ich gewartet. Stellt er doch für jedes „echte“ Seekajak eine Art Lackmustest dar, wenn es sich bei schräg achterlichem Wind und Welle bewähren muss.
An der letzten Dalbe stelle ich mein Kajak auf seine maximale Kante, um diese mit einem flachen Bogenschlag halbkreisförmig zu umrunden. Die ausgeprägte Sekundärstabilität gibt mir hierfür die notwendige Sicherheit. Der neue Kurs steht, Wind und Welle drücken seitlich gegen mein Achterdeck. Zu meiner Überraschung bleibt das Kajak auch ohne weitere Veränderung der Lateralflächen wie z.B. durch die zu Hilfenahme des Skeges auf Kurs. Es scheint als ob hier die Unterschiffsform mit seiner angedeuteten Kiellinie die notwendige Führung gibt, um unter solch fordernden Bedingungen das Kajak auf Kurs zu halten.
Die weichen Wellen der Nordsee umspülen mein Kajak. Langsam treibe ich auf die vor mir liegende Robbenpopulation zu. Diese nutzt jetzt im Dämmerlicht die trocken gefallenen Wattflächen als Ruheraum. Ich stelle das Paddeln ein, klappe jetzt das integrierte Skegruder komplett aus und steuere damit wie von Geisterhand das Kajak weitest möglich entfernt treibend durch die Engstelle, ohne die Seehunde zu vertreiben.
Langsam erkennt man am Horizont die Morgendämmerung heraufziehen. Ein fantastischer Tag bricht an. Das frühe Aufstehen und die morgendliche Müdigkeit sind schnell vergessen. In diesem Moment zieht an mir die Fahrwasserteilungstonne D17/N1 vorbei und markiert markiert den Zusammenschluss des Dove- und Neßmersieler- Fahrwassers. Tonnen begrenzen für mich nicht nur das Fahrwasser oder warnen vor Hindernissen. Sie sind für mich mehr als einfache Seezeichen zur Navigation und ich freue mich immer wieder aufs Neue, wenn ich Ihnen begegne. Diesmal steuere ich im Rechtsschwung den Skagerrak über die Kante in Richtung der Fahrwasserteilungstonne D19/B2. Es ist erstaunlich wie gut sich das Kajak trotz der ausgeprägten Anfangsstabilität auf der Kante halten lässt und trotzdem nicht an Endstabilität verloren hat.
Perfekte Testbedingungen
Es folgen die typischen, die Insel nach Westen begrenzenden Buhnen mit ihren dazugehörigen Kardinalzeichen Süd und West. Die Sonne ziert sich noch im leicht nebligen Morgenschleier, als ich die Bühne der Seeseite von Baltrum betrete. Am Horizont sieht man eine leichte weiße Schaumlinie, die trotz des seit Tagen anhaltenden Südwindes immerhin ein bisschen Brandung verspricht.
Aber manchmal ist ja auch weniger mehr und die Wahrnehmung und Sensorik im Allgemeinen und ganz speziell bei einem Kakjaktest durchaus aussagekräftiger, wenn nur moderate Kräfte wirken. Somit für mich und mein Skagerrak MV perfekte Testbedingungen. Die Sonne vertreibt den letzten Dunstschleier und taucht die Szenerie in kaltes, klares Licht.
Ich erreiche die, der auf der Nordseite vorgelagerten Sände, das Norderriff. Die sich dort brechenden moderaten Brandungswellen laden mich zum Spielen ein. Kurzer Systemcheck und schon geht es mit ein paar beherzten Schlägen im rechten Winkel durch die ersten Brandungswellen. Durch das breite und voluminöse Heck beschleunigt das Kajak gut durch die Welle, ohne dass der Bug beim Anschanzen und Durchbrechen der Brandungswelle aufsteigt. Dadurch ist das Paddeln durch die Welle zwar gefühlt weniger weich, aber dafür wird jeder Schlag in direktem Vortrieb verwandelt.
Auf der Seeseite der Brandung drehe ich das Kajak auf dem Wellenkamm. Das flache Unterschiff löst sich dabei gut von dem Wasser. Ein beherzter „Low brace Return“ und schon ist das Kajak bereit zum Surfen der nächsten Welle. Auf der Wellenschulter beschleunigt das Boot mit guter Führung Richtung Wellental. Der Anstellwinkel in dem das Kajak noch kontrolliert surft und in seiner Richtung korrigiert werden kann ist beachtlich.
Langsam dreht das Boot im Walzenschaum aus seiner Fahrtrichtung quer zur Welle. Ein beherztes flaches Stützen sowie Lehnen Richtung Walzenschaum führt zu einer stabilen Position. Das Kajak gleitet mit seinem flachen Mittelschiff sauber und stabil quer zur Welle und vermittelt ein Gefühl der Sicherheit.
Nach gut 2 h des Brandungsspiels meldet sich mein Appetit immer deutlicher. Die dem Baltrumer Strand vorgelagerten Sände sind jetzt fast auf Ihrer kompletten Linie trockengefallen. So nutze ich die letzte halbe Stunde vor Niedrigwasser auf eben jenen Sänden für ein opulentes Frühstück. Okay, opulent, ein dehnbarer Begriff. Bei mir reicht er für ein gutes Müsli mit warmen Ingwer Tee. Die Sonne gibt ihr bestes. Trotzdem ist es im Wind eine frostige Angelegenheit. Eine für solche Situationen im Kajak verstaute warme Primaloft Jacke lässt es mich trotzdem ganz gut aushalten.
Ich genieße die Natur und die Einsamkeit.
Das Kajak ist bereit zum Surfen
Es wird kalt, die Tide kippt, es wird Zeit. Jetzt gilt es einen Schulter schonenden Kompromiss zwischen Belastung und Fahrt über Grund zu finden.
Auf den ersten Metern ist es einfach. Ich orientiere mich an der Westspitze von Baltrum und kann relativ gut abschätzen, dass ich unter minimaler Belastung trotz des böigen Gegenwindes um 6 BFT noch Fahrt über Grund mache.
Die für mich neue „Entdeckung der Langsamkeit“ führt mich nach knapp 1,5 h schließlich doch noch nach Neßmersiel. An der Kaimauer entdecke ich einen ca. 1,6 m hohen Schwimmponton. Wenn ich diesen zum Aussteigen nutzen kann, könnte ich die schlickige Rampe meiden und sauber anlanden.
Hier spielt der Skagerrak wiederum mit seinem Luken Konzept „Bighole“ mit einer Innenlänge von 88 cm und seiner hohen Anfangsstabilität seine Vorteile aus. Anlegen, aufstehen, hinstellen, an die obere Kante des Pontons greifen, ein gekonnter Feldaufschwung und schon ist man auf Deck. Gut, wenn man vorher sein Kajak mit seiner „Life-Line“ gesichert hat.
Nun gilt es noch das ca. 23kg leichte VCS Kajak über die Kante zu ziehen. Nach dem Klarieren des Equipments warten auf mich zwei leckere Fischbrötchen mit Aalrauchmatjes und schließen eine erlebnisreiche und vom Gesamteindruck positive Testfahrt mit dem Lettmann Skagerrak MV ab.
Vieeeeel Endstabilität
Fazit Lars Everding
Der Lettmann Skagerrak MV bietet ein modernes Bootskonzept, das allen Anforderungen eines tourentauglichen Seekajaks erfüllt. Das schnelle und trotzdem agile Unterschiff, dass auch in brechenden Wellen und bei achterlichem Wind gut kontrollierbar ist, die große Luke in Verbindung mit dem harmonischen Decklayout sowie die ergonomische und verstellbare Sitzanlage inklusive dem Skegruder machen auf großer Fahrt alles noch etwas einfacher und angenehmer.
Somit ist der Skagerrak MV eine willkommene Ergänzung zum Lettmann Biskaya MV für alle Paddler die ein unkompliziertes Seekajak suchen, welches neben genügend Stauraum für längere Touren/Expeditionen bedingt durch seine hohe Anfangsstabilität die notwendige Sicherheit zum Navigieren und Fotografieren auf See bietet. Die Vielzahl der möglichen Ausstattungsvarianten inklusive der individuellen Extrausstattungen, in Verbindung mit dem gutem Service, runden den positiven Gesamteindruck ab.
* Lars Everding: Das Fazit resultiert aus meinem Gesamteindruck über einen Zeitraum von 6 Wochen, in denen ich den Skagerrak MV bei vielen Fahrten auf der Nordsee testen konnte.*
Pro
• Hohe Anfangs- /Endstabilität
• Leichtlaufendes Unterschiff
• Seitenwind unempfindlich
• Lässt sich gut über die Kante steuern
• insg. gutmütige Fahreigenschaften
• integriertes Skegruder
• Große Luke
• ergonomisch verstellbarer Sitz und Schenkelstützen
• Ausstattungsvarianten und Materialklasse frei konfigurierbar
Contra
• bisher nur in zwei Volumenklassen
• keine Alternative für leichtere Fahrer (unter 80 kg)
• das Kajak stellt keine besonderen „Herausforderungen“ an den Fahrer
• reine Skeg-Variante wird nicht angeboten
Beitrag und Fotos: Lars Everding